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„Ruhestandsaktivisten“ als Treiber der Energiewende?

 

Besonderes Engagement bei der Energiewende zeigen Menschen, die aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und nach neuen erfüllenden Aufgaben suchen. Ich zähle mich selbst zu dieser Gruppe.

Nach den Lebensphasen, in denen es vor allem um berufliches Fortkommen und Familienleben ging, kommt eine Zeit der Neuorientierung. Man blickt schon auf eine lange Lebensspanne zurück und wird sich der vielen kleinen und großen Veränderungen in dieser Zeit bewusst. Wir, die noch in eine ökologisch vermeintlich intakte Welt hineingeboren wurden, haben in unserem Leben den Beginn und die Zuspitzung der Klimakrise erlebt.

Die ersten noch kaum beachteten Mahnungen des Club of Rome, das Waldsterben und mit Öl verseuchte Strände standen am Anfang, und heute können wir die Klimakatastrophen kaum noch aufzählen: Verheerende Dürren und Überflutungen, Brände, überhitzte und mit Plastik verschmutzte Meere, schmelzende Gletscher und Polkappen, Abholzung und Brandrodung der „grünen Lungen“ des Planeten, hemmungslose Ausbeutung von Rohstoffen und damit einhergehende Verschmutzung von Boden und Gewässern durch giftige Chemikalien, Gefährdung unserer Lebensgrundlage durch exzessive Landwirtschaft und Viehzucht, Verbrauch der globalen Schätze an fossiler Energie in wenigen Generationen mit hemmungsloser CO2-Verschmutzung der Atmosphäre und damit Erderhitzung als Folge, usw., usw.

Als älterer Mensch hat man vielleicht das Gefühl, zumindest ein wenig Verantwortung dafür zu tragen, was in diesem Leben – wenig beachtet und kaum gesehen – schief gelaufen ist, wo man sich zu wenig eingesetzt hat und stattdessen einem Lebensstil gefrönt hat, der diese Entwicklung ermöglicht und beschleunigt hat. Jetzt ist die Zeit, in der man die Möglichkeit hat, noch etwas zu tun, und man ist noch in der Lage, mit ganzer Kraft Maßnahmen zu ergreifen, die die drohende Katastrophe aufhalten können. Protestieren und demonstrieren sind dabei wohl nur einige der Mittel der Wahl.

Man hat die Zeit und auch die Mittel, sich in konkreten Projekten zu engagieren, sei es als Initiator bei einem Projekt, von dem man auch selbst profitieren kann, oder auf einer übergeordneten Ebene in einer Organisation, die sich mit einem breiteren Fokus gesellschaftlich für die Energiewende einsetzt, oder beides.

Durch die berufliche Tätigkeit hat man Erfahrungen gesammelt, die jetzt nützlich sein können. Neben konkreten Fähigkeiten hat man vielleicht mehr Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit als früher, Redegewandtheit und Verhandlungsgeschick, die Fähigkeit, anderen zuzuhören und auf andere zuzugehen. Das eigene Wollen und Fortkommen steht nicht mehr so im Vordergrund wie das gemeinsame erfolgreiche Umsetzen eines Projekts, von dessen Sinnhaftigkeit man überzeugt ist. Möglicherweise hat man auch finanzielle Mittel erspart, die man einsetzen kann.

Von den heute 60- bis 70-Jährigen verfügen viele über das digitale Know-how, um die erforderlichen Informationen im Internet zu recherchieren und Online-Netzwerke aufzubauen und zu nutzen. Durch jahrzehntelange Erfahrungen im Umgang mit anderen, sei es im Beruf, in Partnerschaften, der Familie oder mit Freunden, haben sie die Kompetenz erworben, wertschätzend mit anderen umzugehen, deren Situation zu verstehen und auf ihre Position einzugehen. Sie sind in der Lage, auf Bedenken anderer einzugehen und sie nach Möglichkeit aus dem Weg zu räumen, den gemeinsamen Nutzen zu vermitteln und verbindende Ziele und ein abgestimmtes Vorgehen zu definieren.

Anstatt noch schnell einen Apfelbaum zu pflanzen, ist es möglicherweise heute notwendig, gemeinsam mit anderen eine Solaranlage auf dem Dach des Wohngebäudes zu installieren und von Gas auf Geothermie und Wärmepumpe umzusteigen. Die Erzeugung von Warmwasser sollte auf erneuerbare Energien umgestellt werden, und wenn es immer heißer wird, kann die Wohnung mit selbst produziertem Strom gekühlt werden. Vielleicht wird man selbst langfristig nicht der Hauptnutznießer sein, aber nachfolgende Generationen können sich an den Früchten erfreuen.

Zum Abschluss muss ich noch ein wenig pathetisch werden: Als Angehöriger dieser „letzten“ Generation habe ich die Gelegenheit gehabt, eine wunderbare Welt zu erleben. Sie war geprägt von einer weitgehend intakten Natur, großartigen und staunenswerten Mitgeschöpfen in schier unglaublicher Vielfalt. Ein unglaublich reicher und großzügiger kleiner blauer Planet, der vermutlich einzigartig im Universum ist, beschenkt uns alle, die ausgewählt wurden, eine Zeit auf ihm zu verbringen.

Wie beschämend gehen wir mit diesem Geschenk um! Nachdem wir uns zu den Herren der Welt aufgeschwungen haben, fällt uns nichts Besseres ein, als dieses Wunder mit aller Kraft zu zerstören, auszubeuten und zu vernichten, und damit auch unsere eigene Existenz massiv in Frage zu stellen.

Wir tragen die Verantwortung, nicht nur gegenüber den nachfolgenden Generationen unserer eigenen Spezies, sondern auch gegenüber allen anderen Lebensformen, die sich vor uns entwickelt haben und jetzt von unseren Entscheidungen abhängig sind, wie wir weiter vorgehen.